Großmutter: Rita Pitka Blumenstein | Yupik, Alaska/USA
Großmutter Rita Pitka Blumenstein wurde als erster Einwohnerin Alaskas ein Zertifikat als traditionelle Heilerin ausgestellt, und das, obwohl sie nie eine offizielle Schule besucht hatte. Stattdessen verbrachte sie viel Zeit mit den weisen weiblichen Älteren ihres Stammes.
Da Ritas Vater vor ihrer Geburt ums Leben kam, wurde sie von ihrer Mutter, ihren Großmüttern und Urgroßmüttern aufgezogen, die alle weise Älteste der Yupik waren und sie fühlt sich ihnen immer noch tief verbunden. Großmutter Rita kam auf einem Fischkutter zur Welt. Ihre Familie stammt aus dem Dorf Tununak, welches auf der nordöstlichen Küste von Nelson Island, einer sechs Quadratkilometer großen Insel im Südwesten Alaskas, liegt. Die beißende Kälte und die unfruchtbare Tundra erschwerten das Leben der Yupik.
Da es keine Wälder oder Bäume dort gab, beteten sie in einem besonderen Ritual jährlich für die Wiederkehr des Treibholzes. Die Yupik vertrauten auf die Hilfe der Tiergeister. Aufgrund ihrer harten Überlebenskämpfe wurden sie ein enges, stark verbundenes und spirituelles Volk. Übersetzt bedeutet Yupik „wahres Volk“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die US-Regierung die Kultur der Yupik auszulöschen, indem sie freies Jagen und Fischen verbot und Schulen gründete, in denen es den Kindern verboten war, ihre Muttersprache zu sprechen. Die alten Traditionen der Tundra wurden vorsätzlich und systematisch zerstört.
Großmutter Ritas Name bedeutet „Lichtung des Pfades zum Licht“. Bereits bei ihrer Geburt erkannten die Großmütter ihres Stammes, dass sie eine besondere Gabe hatte, dass spirituelle Kräfte durch sie wirken konnten. Schon mit neun Jahren bekam sie Visionen und begann als Heilerin zu arbeiten. Die weisen alten Frauen ihres Stammes brachten Rita bei, dass Bildung wichtig sei, noch wichtiger aber sei es, über sich selbst zu lernen. Dieses Prinzip hat sie verinnerlicht und zu einem Grundsatz ihrer Arbeit gemacht. Als kleines Mädchen hatte Rita zwei Jahre lang Diphtherie. Während dieser Zeit konnte sie nicht sprechen und kaum atmen; das Einzige was sie konnte, war zuzuhören.
Im Jahr 1995 stellte sich heraus, dass Rita Krebs hatte. Sie wusste, dass sie auf tieferen Ebenen genesen musste, um ihn zu besiegen. Durch ihren Krebs lernte sie, dass ihre Kindheit auch von Wut und Trauer geprägt worden war, da sie ohne Vater aufwuchs, nach dem sie sich jedoch immer gesehnt hatte. Die Abwesenheit ihres Vaters, der einen Monat vor ihrer Geburt starb, wurde zu einem Motor in ihrer Arbeit, ihrer eigenen Heilung und ihrem Verständnis davon, wie man für sich selbst ein besseres Leben schafft.
„Man muss lernen zu vergeben, denn wenn man sich an negative Emotionen klammert, wird man physisch krank und bekommt unter Umständen sogar Krebs. Es ist unsere Aufgabe, uns selbst zu heilen, nicht nur für unser eigenes, sondern auch für das Wohl des Universums. Wenn wir vergessen, wer wir wirklich sind, ist dies die Ursache von Krankheit“, sagt Großmutter Rita. „Es ist essenziell zuzulassen, dass man weiß, was man ist. Man darf sich nicht zwingen, jemand zu sein, der man nicht ist. Wenn man zu sehr versucht, jemand zu sein und zu werden, übersieht man oft das, was vor einem liegt und genau das ist, was man wirklich möchte.“
Wenn Menschen Großmutter Rita aufsuchen, ist sie oft ihre letzte Hoffnung auf Heilung.
Mit dieser Frage beginnt Großmutter Rita gemeinsam mit ihren Patienten ihre emotionalen Schichten freizulegen, also all die verborgenen Enttäuschungen und Schmerzen, die sich seit der Kindheit angesammelt haben. So gelangen sie zu dem Wurzelproblem, das Auslöser für die Krankheit ist. „Physische Probleme haben ihren Ursprung immer im emotional Verborgenen“, erklärt Großmutter Rita. „Das liegt daran, dass wir vergessen wer wir wirklich sind. Wir fordern uns ständig heraus, statt einfach zuzulassen, dass wir eben sind, wie wir sind. Wir beeilen uns, bemühen uns, versuchen andere zufriedenzustellen und stark zu sein. Um wirklich man selbst zu sein, sollte man sich aber Zeit lassen, sich selbst wahrnehmen und respektieren und aufmerksam für die eigenen Bedürfnisse sein. So kann man auch andere heilen, indem man sich selbst erkennt und dies mit anderen teilt.“ Großmutter Rita ist davon überzeugt, dass sie anderen am besten hilft, indem sie einfach nur so ist, wie sie ist.
Neben ihrer Heilarbeit unterrichtet Großmutter Rita auch Korbflechten und traditionellen Gesang und Tanz, in über hundertfünfzig Ländern der Erde.
Als Stammesmedizinerin der South Central Foundation arbeitet Großmutter Rita mit pflanzlichen und energetischen Heilmethoden, wobei sie das Wissen anwendet, das sie von ihren Großmüttern mit auf den Weg bekommen hat.
Rita war bis zum Tod ihres jüdischen Mannes dreiundvierzig Jahre glücklich mit ihm verheiratet. Sie gebar sechs Kinder, von denen jedoch einzig ihre Tochter überlebte, die sich scherzhaft „Jewskimo“, also Eskimo-Jüdin, nennt. Großmutter Rita hat sechs Enkelkinder und unterrichtet ihre zwölfjährige Enkelin, die „zur Mutter Erde spricht“, in den alten Traditionen und Heilmethoden.
„Nichts gehört uns“, erklärt Großmutter Rita. „Wir gehören dem Universum, wir alle. Zeit vergeht. Wir müssen akzeptieren, dass sich alles verändert, bis auf das Land, das wir bevölkern. Aber auch wenn dieses sich wandelt, müssen wir das akzeptieren. Wenn Mutter Natur uns ihre Wut zeigt, verändert das uns alle. Meine Großmutter hat mir beigebracht, dass man Mensch wird, wenn man beginnt zu akzeptieren und lernt loszulassen. Unsere Aufgabe ist es, dem Universum zu dienen.“
Ritas Urgroßmutter schenkte ihrer Vision für Ritas Leben als Heilerin großen Glauben, als sie ihrer neunjährigen Urenkelin die dreizehn Steine und dreizehn Federn mit auf den Weg gab, die sie eines Tages beim Rat der Großmütter verteilen würde, den sie selbst in Visionen gesehen hatte. Großmutter Rita glaubt, dass es eine alte Vorsehung ist, dass die Menschheit dreizehn Stufen durchlaufen muss. Als sie sich dem Rat der Großmütter vorstellte und all seinen Mitgliedern je eine der Federn und Steine von ihrer Urgroßmutter überreichte, hatte sie Tränen in den Augen.